Die Umsetzung des im letzten Blog beschriebenen Studio-Formats ist generell gut gelungen und war nach Rückmeldung der TeilnehmerInnen kurzweilig und ansprechend. Trotzdem gab es z. B. auch die Anfrage von Gästen, ob sie an der Veranstaltung teilnehmen könnten, ohne in die Kleingruppen mit rein zu „müssen“. Außerdem stellte sich für uns als Veranstalter auch die Frage, wie es weitergeht, wenn die Präsenzveranstaltungen wieder voll umfänglich möglich sind, d. h. wenn zwischen 50-100 Gästen vor Ort sind und damit die „vor-Ort“-Veranstaltung den Rhythmus des Events diktiert.

Dazu im Folgenden einmal ein laut gedachter Entwurf eines Konzeptes, welche die Bedürfnisse verschiedener Personengruppe abdeckt. Nicht alle Elemente müssen gleichzeitig durchgeführt werden, wenn gleich dies prinzipiell bei guter Abstimmung möglich wäre. Man kann auch z. B. nur zwei dieser Elemente kombinieren.

Grundlage der Überlegung ist wieder die Durchführung eines Vortragstreffens mit einem Referenten bzw. Referentin, der/die vor Ort ist. Veranstaltungsraum ist ein Ort, der auch für 30-100 Gäste mit Verpflegung geeignet ist, z. B. ein Restaurant mit Bühne. Am Veranstaltungsort muss eine ausreichend gute Internet-Bandbreite existieren und die Bühne wird mit 1-3 Kameras (z. B. die schon genannte Go Pro) in verschiedenen Perspektiven eingefangen und gut ausgeleuchtet. Das Tonsignal der Tonanlage vor Ort geht parallel zum Live-Publikum auch in den Videomischer (bei uns ein Blackmagic Atem Mini) für den Livestream. Ein bis zwei Techniker vor Ort kümmern sich um Ton und Video und die Übertragung des Livestreams.

Besonderheiten hybrider „Vor-Ort“-Events

Anders als in dem Studio-Format, welches wir im letzten Blog vorgestellt haben, sind bei Übertragungen in einem öffentlichen Veranstaltungsraum mit Zuschauern weitere Aspekte zu beachten:

  • Das Publikum vor Ort darf ohne Einverständnis nicht auf den Aufnahmen erscheinen, welche gestreamt werden. Dies ist bei der Kamera-Einstellung zu berücksichtigen.
  • Falls die Zuschauer der Übertragung zustimmen ist es auch sinnvoll darüber nachzudenken, einen Bereich im Publikum einzurichten, der entsprechend ausgewiesen ist, dass dort keine Video-Übertragung des Publikums stattfindet. Im kirchlichen Raum ist dies u. U. wichtig, da es auch z. B. muslimische Konvertiten gibt, die bei christlichen Veranstaltungen Angst vor einer Identifizierung über anonyme Videoübertragungen haben. Aber auch andere Zielgruppen (z. B. Prominente) ziehen es u. U. vor, dass sie nicht auf öffentlichen Übertragungen im privaten Umfeld erscheinen.
  • Der/die Referent/in müssen natürlich mit der Übertragung einverstanden sein.
  • Es ist mit dem/der Referenten/in zu klären, dass nur Bild-/Ton-Material von ihm verwendet wird, für welches die Übertragungsrechte geklärt sind, v. a. wenn das Ganze später auch noch auf z. B,. YouTube permanent zur Verfügung steht. Bei normalen „Vor-Ort“-Terminen in kleinem Kreis wird über die „Rechtefrage“ gern einmal hinweggesehen und ein Auge zugedrückt, im „öffentlichen Raum“ sollte man hier genauer arbeiten.
  • Die äußeren Einflussfaktoren sind vorher gut zu analysieren:
    • Wie werden die Lichtverhältnisse zum Zeitpunkt des Events sein (Tag, Nacht, Schatten, Licht)
    • Wie werden die Ton-Verhältnisse sein? Ist eine zweite Veranstaltung nebenan (z. B. Hochzeitsgesellschaft mit Musik im Nebenraum)?
    • Gibt es Absprachen mit dem Bedienungspersonal, dass diese nicht die Kamera-Übertragung ständig „kreuzen“ oder laut in die Menge rufen „Wer bekommt das leichte Hefe-Weizen?“ 😉
  • Ist die Internet-Übertragung gesichert
    • v.a. der Up-Stream ist sehr wichtig
    • gibt es „kabelgebundenes Internet“?
    • wie ist der LTE-Empfang als Backup für das Internet
  • Zuletzt natürlich die üblichen Fragestellungen bei Events, wie z. B.
    • Wo sind die Steckdosen?
    • Ausreichend Verteiler/Verlängerungskabel

Auswirkungen der Online-Übertragung auf die Vor-Ort-Veranstaltung

Wenn parallel zu dem Live-Event ein Online-Format übertragen wird, ist normalerweise damit zu rechnen, dass sich hier gegenseitige Abhängigkeiten entwickeln:

  • Die Dauer von Einzelbeiträgen am Live-Ort sollte angepasst werden. Anstatt eines 50-Minuten-Vortrages – der Vor-Ort für Zuhörer ggfs. kein Problem darstellt – ist im „Online-Erlebnis“ meist ermüdend und die Zuschauer „schalten innerlich ab“ oder wirklich auch „um“.
  • Es gibt Ereignisse vor Ort, die u. U. für Personen online keine oder wenig Bedeutung haben. Ein Beispiel wäre z. B. die Übertragung einer Taufhandlung bei einem Live-Gottesdienst. Für Zuschauer aus der Gemeinde ist dies interessant, aber „fremde Zuschauer“ vom anderen Ende der Welt haben keine Beziehung zu dem Täufling. Wenn der Gottesdienst also bewusst für „anonyme Personen“ mit konzipiert ist, muss auf solche Aspekte Rücksicht genommen werden.
  • Die Moderation vor Ort sollte immer wieder die Online-TeilnehmerInnen auch direkt ansprechen, begrüßen und zeigen, dass die Online-Zuhörer keine Teilnehmer „zweiter Klasse“ sind.
  • Feedback-Werkzeuge (sogenannten „Audience-Interaction-Tools“) können eingesetzt werden, um die Präsenz- und Online-Zuschauer gemeinsam einzubinden (z. B. eine gemeinsame Online-Teilnahme an einer Mentimeter-Umfrage).
  • Im Präsenz-Raum kann eine Person sein, die auch bewusst die Präsenz-TeilnehmerInnen auf „Stimmen aus der Online-Welt“ aufmerksam macht und diese einbringt. Ein Beispiel für so etwas kennt man aus der Fernsehsendung „Hart aber fair“, bei der auch Beiträge aus Twitter, Facebook, etc. in die Sendung einfließen.

Beispielhafter Ablauf eines Multi-Zielgruppen-Events

In der folgenden Grafik ich einmal ein Beispiel dargestellt, welches die zeitliche Synchronisierung der verschiedenen Übertragungsformen aufzeigt.

Die Multi-Zielgruppen-Ansprache

Innerhalb der Zuhörer gibt es natürlich unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es mag eine Person geben, die sehr an dem Thema interessiert ist, allerdings auf einem anderen Kontinent lebt. Für diese Person ist ein Online-Format ggfs. der einzige Zugang zu einem Vortrag. Auf der anderen Seite gibt es auch Zielgruppen, für die Präsenzveranstaltungen die einzige Möglichkeit des Zugangs ist. Es folgt eine Einordnung der Zielgruppen hinsichtlich der in meinem Beispiel skizzierten vier Übertragungswege:

Personengruppe 1: Präsenzvortrag

  • Format: Präsenzveranstaltung
  • Zielgruppe: persönlich bekannte und vorher namentlich angemeldete Gäste aus der Region
  • Einladung: Persönlich, per Post und per E-Mail-Verteiler
  • Technische Umsetzung: Ton-Verstärkung (Mikrofon, Boxen) für Zuschauer vor Ort, Kameras in verschiedenen Perspektiven, Laptop für die Übertragung des Videosignals und Einwahl in die parallele Online-Konferenz als Teilnehmer.
  • Team: Organisatoren vor Ort
  • Ablauf: Diese Veranstaltung verläuft wie gewohnt mit Begrüßung durch den/die ModeratorIn, dem Referat, einem gemeinsamen Essen und eine Fragerunde mit anschließender Verabschiedung.
  • Besonderheiten: Es ist darauf zu achten, dass viele TeilnehmerInnen nicht möchten, wenn Sie auf Video-Übertragungen zu sehen sind, deshalb darf das Live-Publikum nicht auf den Kameras erscheinen (es sei denn, dies wurde explizit angekündigt und von alle gut geheißen).

Personengruppe 2: Online-Kleingruppen

  • Format: Online-Konferenz mit Zugangsdaten, mit Kleingruppenarbeit (Breakouts)
  • Zielgruppe: persönlich bekannte Personen und/oder unbekannte Personen innerhalb und außerhalb der Region. Haben Lust, sich mit anderen in Kleingruppen auszutauschen und auch persönlich zu öffnen und z.B. die Kamera anzuschalten.
  • Einladung: per E-Mail-Verteiler, Instant-Messenger (Whatsapp, etc.) und öffentliche soziale Kanäle (Facebook, Instagram, etc.).
  • Technische Umsetzung: Online-Konferenz (z.B. Zoom-Meeting) mit Live-Streaming Elementen. Ähnelt dem vorgestellten Studio-Konzept mit Uwe Heimowski dieses Artikels, allerdings ist der Referent an einem Ort mit Präsenzpublikum.
  • Team: Eigenes Online-Team, 2-10 Personen, können über die ganze Welt verteilt die Moderation durchführen, d.h. müssen nicht vor Ort sein.
  • Ablauf: Das Online-Team begrüßt die Gäste im Onboarding-Prozess und führt ein „Meet&Greet“ online durch.
    • Zu einem vereinbarten Zeitraum wird das Video-Signal des Übertragungsortes in das Meeting übertragen und die Online-TeilnehmerInnen verfolgen die Moderation und das Referat vor Ort über die 1-3 Kameras.
    • Während die Gäste vor Ort das Abendessen bzw. Mittagessen haben, führen die Online-TeilnehmerInnen thematisch angelehnte Kleingruppen-Gespräche durch. Es gibt MitarbeiterInnen, welche die Breakout-Rooms betreuen. Ggfs. kann man auch mehrere Kleingruppen-Breakouts machen und die Personen nach Zufall zugeteilt werden („Speed-Dating“).
    • In den Kleingruppen können Fragen an den/die Referenten/-in gesammelt werden und an das Team vor Ort übermittelt werden.
    • Zur Beantwortung der Fragen durch den/die Referenten/-in wird das Online-Meeting wieder vor Ort geschaltet (d.h. die entsprechende Kamera übertragen) und der Referent beantwortet die Fragen des Live- und des Online-Publikums.
    • Nach der Verabschiedung durch die Moderation vor Ort gibt es im Online-Meeting weitere Informationen (Offboarding, Konaktdaten, etc.) durch das Online-Orga-Team und die Möglichkeit für ein offenes „virtuelles Kaminfeuergespräch“ zum Ausklang.
  • Besonderheiten: Das Online-Orga-Team muss sich mit dem Team vor Ort zeitlich koordinieren. Im Wesentlichen ist diese Konzept sehr ähnlich wie „ProChrist“ mit den Überleitungen zu den regionalen Übertragungsorten, nur dass diese in diesem Format „online“ sind.

Personengruppe 3: Die „anonymen Zuschauer“

  • Format: Öffentliche (ggfs. auch private) Livestream-Übertragung ohne Anmeldung (Facebook, YouTube, etc.)
  • Zielgruppe:
    • Personen, die weder vor Ort kommen können oder wollen und die auch nicht an persönlichen Kleingruppen teilnehmen möchten, da ihnen dies zu privat ist oder technisch zu anspruchsvoll.
    • Außerdem „Laufkundschaft“, d.h. Personen, die zufällig z.B. auf YouTube oder Facebook während der Übertragung aktiv sind und sich spontan das Live-Streaming ansehen.
    • Personen, die nicht über das technische Equipment zur Übertragung von Stimme oder Bild verfügen, sondern „nur“ sehen und hören können.
  • Einladung: Alle Kanäle, Zusätzlich „Live“-Benachrichtigungen durch Plattformen wie Facebook und YouTube.
  • Technische Umsetzung: Live-Streaming der Vor-Ort-Veranstaltung, z.B. mittels der Facebook-/Youtube-Übertragungsfunktion von Zoom parallel zum Kleingruppen-Format (s.o) oder direkt über das Blackmagic Atem mini pro oder Broadcasting-Software wie OBS.
  • Team: 1-2 Personen welche den Live-Stream überwachen und auf Live-Kommentare antworten (z.B. Kommentare bei Facebook-Live oder YouTube).
  • Besonderheiten: Während die Gäste vor Ort das Abendessen/Mittagessen zu sich nehmen, muss entweder parallel etwas anderes übertragen werden oder z.B. die Information, auf welche Weise die Zuschauer Fragen an den/die Referenten/-in stellen können. Darüber hinaus müssen Informationen am Schluss eingeblendet werden, wie die „anonymen ZuschauerInnen“ Kontakt mit dem Veranstalter aufnehmen können.

Personengruppe 3: Die „Wohnzimmergemeinschaft“

  • Format: Private Livestream-Übertragung über Facebook oder YouTube
  • Zielgruppe: Persönlich und regional eingeladenen (enge) Bekannten und Freunde im kleinen Kreis (z.B. 7 Leute)
  • Einladung: Persönlich oder Instant-Messaging (Whatsapp, etc.)
  • Technische Umsetzung: Eine (Klein-) Gruppe mit persönlich eingeladenen Gästen trifft sich an einem „privaten“, gemütlichen Ort (z.B. einem Wohnzimmer) und schaltet sich zu bestimmten Teilen der Übertragung des Referats dazu. Ansonsten wird die Veranstaltung im Wohnzimmer vom Team vor Ort moderiert und geleitet.
  • Team: Ansprechpartner/Gruppenleiter vor Ort im Wohnzimmer
  • Besonderheiten:
    • Dies ist ein sehr „intimes“, persönliches Format, bei dem lediglich mit den Gästen der Vortrag des Referenten live am Bildschirm mit angeschaut wird.
    • Das Vor- und Nach-Programm erfolgt im Wohnzimmer durch die Gastgeber.
    • Während die Gäste vor Ort das Abendessen/Mittagessen zu sich nehmen, kann der Gastgeber im Wohnzimmer entweder auch Essen anbieten oder die Zeit wird für ein thematisch angelehntes Kleingruppengespräch mit Snacks genutzt.
    • Fragen der Wohnzimmergruppe können über einen definierten Kanal an das Team vor Ort gesendet werden, so dass der Referent darauf eingehen kann.

Technische Umsetzung

Hier kann man natürlich alle Register ziehen, je nachdem, auf wie viel Know-How man in seinem Team zurückgreifen kann. Im Wesentlichen ist das o. g. Szenario aber mit dem in meinem letzten Blog dargestellten Set-Up relativ pragmatisch umsetzbar. Der einzige Unterschied wäre hier, dass man in der Konferenz-Software „Zoom“ die Live-Streaming Funktionalität zu YouTube oder Facebook-Live parallel zum Online-Meeting aktiviert. Damit bekommt man dann auch die „anonymen Zuschauer“ und die „Wohnzimmergemeinschaft“ mit an Bord.

Besitzt man mehr Erfahrung in der Umsetzung solcher Veranstaltungen wäre ein klassisches Set-Up mit z. B. OBS Studio und einem Multi-Streaming-Dienst (wie restream.io) möglich.

Schlussüberlegungen

Nachdem in diesem Blog einmal laut darüber nachgedacht wurde, wie man mit einem Live-Event mehrere parallele Online-Formate mit bedienen kann, möchte ich trotzdem auf Folgendes hinweisen:

So ein Multi-Event ist natürlich ein „Kompromiss“ und die einzelnen Formate werden in der Regel etwas von ihrem Glanz einbüßen müssen, wenn sie sich auch nach den anderen parallelen Formaten richten müssen. Dies sollte man sich im Vorfeld gut überlegen, ob dieser Kompromiss tragbar ist, sonst ist man u. U. weder „kalt noch warm“.

Ich kenne Gemeinden, die sich in der Zeit der Lockerungen nach dem Corona-Lockdown bewusst dafür entschieden haben, den Präsenzgottesdienst weiterhin nicht durchzuführen (auch wenn dies mit Einschränkungen erlaubt gewesen wäre), sondern lieber einen sehr gut gestalteten Online-Gottesdienst weiterzuführen, der nicht auf Leute „vor Ort“ technisch Rücksicht nehmen muss. Wenn ich ein reines Online-Event durchführe, kann ich die Programmpunkte komplett auf dieses Format abstimmen. Oder auch anders herum: Wenn ich ein reines Präsenz-Meeting mache, kann ich Erlebnisse bieten, die nur „live“ gehen, z. B. ein Lagerfeuer oder Feuerwerk am Abend.

Am Ende ist also – wie so oft im Leben – eine sorgfältige Abwägung der Argumente für und gegen die Nutzung hybrider Konzepte zu treffen. Ich hoffe, dass Euch die beiden Blog-Beiträge zum Thema bei dieser Abwägung ein paar Anregungen geben und wünsche Euch viel Erfolg bei der Durchführung (und freue mich auch über Feedback)!